science in ancient egypt

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Listenwissenschaft, Lexikographie, Philologie

Das Nachdenken und die Diskussion über Sprache begann für die Menschheitsgeschichte vermutlich da, wo Sprache als Mittel der Verständigung z.B. zwischen Sprechern verschiedener Sprachen versagte und somit das erste Mal hinterfragbar wurde.

Die Beschäftigung mit der Sprache zeigt sich vor allem in Schrift, Alphabet und Zeichenliste, grammatischen Paradigmen und dem Umgang Muttersprache vs. Fremdsprache. Die ersten Belege für ägyptische Schrift fallen in die Phase der Staatsentstehung und sind fast gleichzeitig mit den ersten Schriftzeugnissen aus Mesopotamien anzusetzen. Aus dem prädynastischen Herrschergrab U-j, Abydos, das um ca. 3150 v. Chr. datiert, stammt eine Reihe von Anhängetäfelchen mit eingeritzten Herkunftsangaben und Zahlen, bei denen sich zeigt, dass das System der Hieroglyphenschrift bereits ausgebildet ist. Gerade in der Hieroglyphenschrift und viel abstrakter im Hieratischen und später im Demotischen zeigt sich der besondere Hybridcharakter von Sprachlichem und Bildlichem.

Die Hieroglyphen innerhalb des Schriftsystems können verschiedene Bedeutungen wahrnehmen: Sie funktionieren als Begriffzeichen (Semogramme), als Lautzeichen (Phonogramme) und als bedeutungsleere Füllzeichen. Die Schriftrichtung verläuft entweder von rechts nach links oder von links nach rechts; dabei können die Hieroglyphen in (waagerechten) Zeilen oder (senkrechten) Kolumnen geschrieben werden. Obwohl es Regeln gibt, wie die einzelnen Elemente der Hieroglyphenschrift anzuordnen sind, gab es in dem Sinne keine feste Orthographie. Trotzdem lassen sich graphische Trends innerhalb von Schreibungen feststellen, die sich als zeit- und ortsabhängig erweisen (s. z.B. Engsheden, Åke, 2006, On the Verge of Ptolemaic Egyptian: Graphical Trends in the 30th Dynasty, Abgadiyat 1, 35–41). Gleichzeitg entwickelt und verändert sich die ägyptische Sprache im Laufe ihrer 4000-jährigen Sprachgeschichte, so dass heute sechs Sprachstufen unterschieden werden (Frühägyptisch, Altägtyptisch, Mittelägyptisch, Neuägyptisch, Demotisch und Koptisch), die je nach Anlass und Zweck des darin niedergeschriebenen Textes unterschiedlich lange tradiert werden konnten.

Die einzelnen Hieroglyphenzeichen stehen innerhalb des gesamten Hieroglypheninventars, das von ca. 700 bis zu 7000 Zeichen in der ptolemäischen Epoche anwuchs, nicht willkürlich zueinander, sondern unterliegen innerägyptischen Ordnungsprinzipien. Überliefert sind sogenannte Zeichenlisten, die eine graphisch-semantische Sortierung nach bestimmten Kriterien wiedergeben, und genormte Hieroglyphenfolgen, die phonetisch sortiert eher einem Alphabet entsprechen.

Bekannt ist der sogenannte Zeichenpapyrus aus Tanis (2. Jh. n. Chr.), auf dem in sorgfältigen (Spätzeit-)Hieroglyphen die Zeichen ihrem (graphisch-semantischen) Sinn nach aufgelistet sind: Männer stehend, Frauen hockend, Männer fallend, Tiere, Körperteile etc. In zwei Spalten gelistet steht erst das einzelne Hieroglyphenzeichen, dann das entsprechende hieratische Zeichen, dann folgt dessen Erklärung.

Sogenannter Zeichenpapyrus Tanis

Im Papyrus Sakkara 27 (demotisch) findet sich eine Liste (nach phonetisch geordneten Kriterien) mit Vogelnamen, die offenbar nach dem Prinzip der Akrophonie systematisch geordnet sind, verbunden mit einem kurzen Satz als Merkhilfe. Das Prinzip dabei lautet folgendermaßen: pꜣ hb ḥr hbyn „Der Ibis sitzt auf Ebenholz“ (Z. 2), šm.n=f bnw r bbl „Der Benu-Vogel ging nach Babylon“ (Z. 10). Ähnlich ist der Papyrus Carlsberg 7 und Papyrus Oxyrhynchus B.3 6/2, bei dem zum Memorieren der Alphabetfolge Vögel eingesetzt wurden. Aus solchen und ähnlichen Quellen, von denen sich viele dem Schulunterricht zuordnen lassen, lässt sich letztendlich eine ägyptische Alphabetreihenfolge rekonstruieren, ohne dass dies aber je zur Herausbildung eines echten Alphabetes geführt hätte.

Rekonstruktion des ägyptischen Alphabets.

Neben den Alphabetlisten sind aus dem Schul- bzw. Unterrichtskontext noch eine Reihe von Übungen zur Grammatik überliefert. Zeugnisse aus dem Neuen Reich oder früher sind selten; weitaus mehr Übungen sind uns aus dem demotischen Schulunterricht (Spätzeit bis griechisch-römische Zeit) überliefert. Mit Papyrus Wien 6464, einer Schulübung für Personalpronomina in der Präfix- und Suffixkonjugation, zeigt sich, dass alle möglichen grammatischen Konstruktionen und Formen geübt wurden.

Eine weitere Herausforderung ist der Umgang mit fremden Sprachen, die sowohl im Sprach- wie auch Schriftverkehr eigene Anforderungen an den Übersetzungsprozess stellen. Auf der Schriftebene ist die ägyptische, vokallose Hieroglyphenschrift gezwungen, ungewohnte Konsonanten- und Vokalkombinationen so niederzuschreiben, das sie reproduzierbar bleiben. Zwar schon ab dem Alten Reich belegt findet sich die syllabische Schreibung (eine Art Gruppenschrift) ab dem Neuen Reich speziell für Fremdwörter und einzelne ägyptische (ägyptisierte?) Wörter. Im Papyrus BM EA 10050 sind Rezepte und magische Sprüche in syllabischer Schreibung belegt, die offenbar eine nichtägyptische Sprache in Hieroglyphen verschriftlicht zeigen. Mit Papyrus Leiden I 350 verso und Papyrus Turin Cat. 2008 + 2016 (Neues Reich) sind zwei Logbücher überliefert, die auch über den Handel mit Gütern auf Syrisch(?) Auskunft geben.

In enger Verbindung dazu steht die protosinaitische Schrift, eine Adaption der Hieroglyphenschrift für eine nichtägyptische Sprache, bei der es sich um eine lineare, aus einer beschränkten Anzahl von Zeichen, die den Hieroglyphen entlehnt sind, und vermutlich alphabetische Schrift handelt (s. dazu Goldwasser, Orly 2006, Canaanites Reading Hieroglyphs: Horus is Hathor? The Invention of the Alphabet in Sinai. Ägypten und Levante 16, 121–160).

Umgekehrt ist auch die Verwendung einer nichtägyptischen Schrift zur Verschriftlichung des Ägyptischen belegt: Die Keilschrifttafel BM EA 369 belegt auf Akkadisch geschrieben eine ägyptische Wortliste, die Lederhandschrift Berlin ÄM P. 13443 zeigt einen vermutlich ägyptischen Text in Aramäisch. Aus dem 3. Jh. v.Chr. überliefert der Papyrus Heidelberg Inv. G 414, der seit dem 2. Weltkrieg verloren ist, die Reste eines demotischen-griechischen Glossars, das als Übersetzungshilfe o.ä. diente.

Papyrus Heidelberg Inv. G 414: Foto, Abschrift und Übersetzung.

Aber nicht nur nichtägyptische Texte wurden in Hieroglyphen, bzw. Hieratisch oder Demotisch verschriftlicht, auch andersherum wurden ägyptische Texte in griechischen Buchstaben verschriftlich. Der spätägyptische Papyrus BM EA 10808 (2. Jh. n. Chr.) belegt einen Text in ägyptischer Sprache (égyptien de tradition), der in griechischer Vokalschrift mit Zusatzzeichen für im Griechischen nicht existente Phoneme abgefasst ist (s. Jürgen Osing, 1976, Der spätägyptische Papyrus BM 10808, ÄA 33 und Val Hinckley Sederholm, 2006, Papyrus British Museum 10808 and its Cultural and Religious Setting, PÄ 24).

Interessant im Zusammenhang mit dem Umgang der eigenen Sprache und auch der eigenen Sprachgeschichte ist für das Neue Reich zum Beispiel die Holztafel Berlin 8934, auf der die Einleitung der Lehre des Ani in mittel- und neuägyptischen Konstruktionen niedergeschrieben wurde. Vor allem in ptolemäischer Zeit belegen Bi- und Trilinguen wie die Synodaldekrete das Nebeneinander verschiedener ägyptischer Sprachstufen und Schriften sowie Mehrsprachigkeit. Unter den Synodaldekreten versteht man mehrsprachige Stelen, auf denen in ptolemäischer Zeit die Beschlüsse der Priestersynoden, die die Ptolemäerkönige regelmäßig einberiefen, veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um Wohltaten des jeweiligen Königs, Neuregelungen des Kultes und Privilegien der Priesterschaften. Am bekanntesten ist sicherlich der Stein von Rosetta (BM EA 24), der denselben Text in Hieroglyphen, Demotisch und Griechisch wiedergibt.